Warum ins Gymnasium?
Warum dieser Ansturm aufs Gymnasium?
Jugendliche in der Schweiz werden von der Öffentlichkeit unter hohen Druck gesetzt. Die Ansicht, dass der Besuch des Gymnasiums entscheidend für ein erfolgreiches Berufsleben und daher der Königsweg sei, nimmt in letzter Zeit immer mehr zu. Doch was verursacht diesen Drang, Kinder um jeden Preis aufs Gymnasium zu schicken?
Fakt ist, dass immer mehr Eltern die Entscheidungen der Schulen, wer für den Besuch des Gymnasiums geeignet ist oder nicht, nicht akzeptieren. Druck wird ausgeübt, sei es auf die Schulen oder auf das Lehrpersonal. Teilweise geschieht dies massiv, wenn Eltern gar mit einem Rechtsanwalt zum Gespräch mit den Lehrern anstellig werden. Einige wenige Fälle kommen vor eine Kommission, die im Streitfall entscheiden muss.
Sind Erwartungen zu hochgesteckt?
Auch wenn dieser psychologisch und offiziell – immerhin mit einem Rechtsanwalt (!) – ausgeübte Druck überrascht, so muss man auch sagen, dass diese Eltern, die laut Bildungsbericht hauptsächlich aus dem Akademikerkreis kommen oder Expats sind, mit dieser Aktion indirekt Kritik am Schweizer Schulsystem ausüben – zumindest aber an der Verfahrensweise der Aufnahme ans Gymnasium. Für viele Akademiker-Eltern gibt es nur eine Möglichkeit: Ihr Kind soll die Matura machen. Doch sind Eltern über die Optionen eines dualen Ausbildungssystems im vollen Umfang informiert?
Kontrollierende Eltern nehmen zu
Psychologen warnen immer wieder, dass kontrollierende Eltern aus lauter Ehrgeiz das Beste wollen, doch die Distanz zum Kind sowie zur Situation verlieren. Auf der anderen Seite wissen diese Eltern aus eigener Erfahrung, wie wichtig ein guter Schulabschluss ist, der mit Sozialprestige einhergeht und in der Regel finanzielle Sicherheit bietet. Dass sie diese Werte an ihre Kinder weitergeben möchten, ist durchaus verständlich. Doch dieses Vorgehen kann nicht immer automatisch mit einer erfolgreichen beruflichen Zukunft verknüpft werden.
Ein erfolgreicher gymnasialer Abschluss bedeutet nichts weiter als eine Lebenschance. Er garantiert aber keine soziale Absicherung, denn der Druck und Wettbewerb an den Universitäten verschärft sich. Studienabschlüsse sind kein Freischein, um automatisch am Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Es spielen konjunkturabhängige Faktoren eine wesentliche Rolle, wie auch wirtschaftliche Entwicklungen, die nicht immer vorhersehbar sind.
Die Kinder sollen es besser haben
Die Motivation für Eltern aus dem Mittelstand mit entsprechender Berufsbildung ist mehr der soziale Aufstieg, den ein Abschluss am Gymnasium ihrer Meinung nach mit sich bringt. Ihre Kinder sollen es einmal besser haben. In der Regel arbeiten Eltern aus diesem Bereich sehr hart, in den meisten Fällen arbeiten beide Elternteile, und man hat sich über Jahre hinweg eine solide Existenz aufgebaut. Ihr Blick ist dabei auf gute bis sehr gute Verdienstmöglichkeiten gerichtet und sie wollen, dass dieses Ziel für ihre Kinder nicht mit dem „harten Aufbau“ einer Existenz, wie sie es selbst erlebt haben, verbunden ist. Auch die Aussicht, auf ihr Kind nach Abschluss der Matura stolz sein zu können, ist ein Grund.
Ist ein Vorbereitungskurs die Lösung?
Der Trend zu Vorbereitungskursen wächst ebenfalls. Und wenn nichts mehr geht, greift man auch zur Nachhilfe. Besonders Eltern aus Akademikerkreisen investieren viel Geld, um ihrem Kind den Weg zum Gymnasium zu erleichtern. Die Motivationen sind unterschiedlich: Einerseits will man die bestmögliche Vorbereitung ermöglichen, andererseits muss ein Defizit an Lehrstoff aufgeholt werden, um die Matura zu schaffen.
Doch wie verhält es sich mit den Eltern aus den Unterschichten oder Kindern aus sozial schwächeren Familien? Im letzteren Fall gibt es Kinder, die durchaus intelligent sind, doch sie stehen oft abseits vom Geschehen.
Bei finanziell schlechter gestellten Eltern ist es teilweise so, dass sie keinen Bezug zur Bildung haben und somit auch den Sinn und Zweck eines Vorbereitungskurses nicht erkennen. Der Alltagskampf steht mehr im Vordergrund und so entsteht eine Überforderung mit der Situation. In beiden Fällen sind teure Vorbereitungskurse kaum machbar.
Für einige Schüler/innen ist dies alles kein Problem, doch sie sind nicht die Regel. Sie benötigen keinen Vorbereitungskurs, da sie fähig sind, ihren Schulalltag gut zu organisieren, ohne Hilfe von Dritten und allein durch ihren Wissensdurst zielorientiert zu lernen. Sie verstehen schnell, ihre Umwelt differenziert zu sehen.
Ist es der pure Ehrgeiz der Eltern?
Wenn wir den Ehrgeiz der Eltern ad absurdum führen, müssen wir uns auf der anderen Seite fragen, wie sich die Gesellschaft unter dem Einfluss einer globalen Welt entwickelt. Das globale Netzwerk, das uns direkt berichtet, welche technischen Innovationen in unserer Welt gerade anliegen, prägt die gesellschaftliche Haltung unserer Zeit. Es wird eine Leistungsorientierung und damit verbunden ein Wettbewerb produziert. Diese Faktoren bestimmen unser Verhalten, was wiederum unsere Gesellschaft formt. Speziell Eltern aus Akademikerkreisen sowie aus dem Mittelstand werden sich nicht nur über diese Entwicklung im Klaren sein, sondern sind vielleicht sogar durch ihren Beruf ein Teil dieser Entwicklung. Der Konkurrenzkampf sowie das Wissen um diese Entwicklung wird nicht selten auf die Kinder übertragen.
Genau in diesem Zusammenhang hat die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit Sitz in Paris, mehrfach Kritik am Schweizer Schulsystem respektive an einer zu niedrigen Maturitätsquote geübt. Ins Feld geführt wird die Gefahr, dass ein Anschluss an die internationalen Entwicklungen verloren gehen kann. Wenn man aber genau hinsieht, geht es mehr um den Arbeitsmarkt und die Produktion und nicht um die höchsten Bildungsabschlüsse.
Welche Optionen bietet das duale Ausbildungssystem?
Die gymnasiale Matura steht bei den Eltern im Vordergrund und den meisten ist nicht bewusst, dass durch das duale Schulsystem in der Schweiz auch ein Handwerker studieren kann. Diese Tatsache wird vom emeritierten Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich, Jürgen Oelkers, wie folgt kommentiert. Zitat: „Qualität wird auch auf anderem Weg erzeugt, und man braucht in der Schweiz in vielen Sparten keine gymnasiale Maturität, um erfolgreich zu sein.“
Doch die meisten Eltern sind sich dessen nicht im vollen Umfang bewusst und blockieren schon gedanklich andere Optionen. Viele Eltern sind Expats und kennen die Schweizer duale Berufsausbildung, die für viele Länder ein Vorbild ist, nicht.
Die Matura ist kein Garant
Zahlen beweisen, dass ein gymnasialer Abschluss nicht unbedingt zum Ziel führt. 95 Prozent der Maturanden fangen zwar ein Studium an, davon 80 Prozent an Universitäten und 15 Prozent an Fachhochschulen oder an pädagogischen Hochschulen. Bei den Studierenden an einer Universität schliesst allein ein Viertel das Studium nicht ab.
Zu guter Letzt: Der steuerliche Aspekt spielt bei vielen gutverdienenden Eltern eine Rolle, wenn auch eine sekundäre. Je nach Kanton betragen die Steuerabzüge für ein minderjähriges, aber in Ausbildung stehendes Kind bis zu 7.100 CHF. Bei einem in der schulischen oder beruflichen Ausbildung befindlichen Kind können es bis zu 12.500 CHF sein. Dies setzt einen ständigen auswärtigen Aufenthalt am Schul- oder Ausbildungsort voraus.
Fazit: Letztendlich ist ein Kind ein Individuum und sollte auf seine Jugend- und Schulzeit, wenn möglich, positiv zurückblicken können. Die Ausbildung des Kindes sollte aber auf keinen Fall zu einem Elternprojekt zur Befriedigung des Eigeninteresses mutieren.
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